Unter Wladimir Putin (seit 2000) kam es in Russland nach der Implosion der UdSSR (1991) und dem Chaos der Jelzin-Jahre (1990er) zu einem substanziellen wirtschaftlichen Aufschwung. Allerdings verlor Russland auch in dieser Phase weiter an Macht. Mit dem Irak-Krieg (2004) der Bush-Regierung wurde die UNO faktisch irrelevant (und damit auch das russische Veto im Sicherheitsrat). Sogar ehemalige Sowjetrepubliken wie Georgien und die Ukraine konnten vorerst nur mit einer militärischen Intervention am Verlassen der russischen Einflussphäre gehindert werden.
Ist Russland also eine Großmacht?
Mit einem der größten Militäraparate (ich zitiere hier keine Zahlen, da ich diesen Zahlen nicht vertraue und diese Zahlen auch kaum reele Bedeutung haben) mit zweifellos veraltetem Gerät und fraglicher Moral (schlechte Bezahlung) aber mit sehr großem „Mobilisierungspotenzial“ was Material und Moral angeht, sowie der Atombombe und einem Sitz im UNO-Sicherheitsrat würde Russland wahrscheinlich von den meisten als Großmacht angesehen werden. Von mir auch, allerdings mit einem dicken Minus. Russland hat trotz vieler Anläufe in den letzten Jahrhunderten keinen freien Zugang zu den Ozeanen. Der Bosporus kontrolliert das Schwarze Meer und der Kattegat die Ostsee, die Häfen im Norden und Osten sind nicht ganzjährig eisfrei und/oder sehr weit weg von den Siedlungszentren. Russland hat in der Schlüsseldisziplin „Flugzeugträger“ auch nur einen alten Bock aus den Achtzigern der beim letzten Manöver 2009 für einen riesigen Ölteppich verantwortlich gemacht wurde. Somit kann Russland keine schnellen taktischen Luftwaffenschläge ausserhalb seines Staatsgebietes ausführen, denn auch Stützpunkte und Inseln wie die USA, aber auch Frankreich oder Großbritannien hat Russland mangels Verbündeter fast keine. Der von Frankreich bestellte Hubschrauber-Träger wird aufgrund der Ukraine-Krise nicht ausgeliefert.
Zwischenergebnis: Russland ist militärisch stark aber nur in unmittelbarer Nähe seines Staatsgebietes.
Russland ist der größte Staat der Welt, fast doppelt so groß wie die USA mit einer West-Ost-Ausdehnung von 9000 km. Allerdings liegen 60% des Staatsgebiet überhalb dem Nordpolarkreis und sind komplett unbewohnbar. Die großen Ebenen im „MIttleren Osten“ Russland sind dem polaren Winter schutzlos ausgesetzt. Bei Betrachtung der Ackerbauflächen erklärt sich auch die Bevölkerungsverteilung in Russland.
Das Siedlungsgebiet der Russen ist im Grunde beschränkt auf den Süden der Linie St. Petersburg – Nordgrenze Kazachstan und dank der sowjetischen Verstädterungspolitik leben die Russen zu 3/4 in den Städten.
Russland hat 140 Mio. Einwohner, also deutlich weniger als die USA (300 Mio.) oder Europa (500 MIo.) und natürlich Indien (1200 Mio.) oder China (1300 Mio.). Die Bevölkerungsentwicklung ist rückläufig mit einer hohen Auswanderung, niedriger Geburtenrate und niedriger Lebenserwartung (v.a. bei Männern z.Z. 60 Jahre).
Zwischenergebnis: Geographisch und demographisch ist Russland zwar groß aber nicht sehr groß. Eine Einordnung in eine Gruppe mit Japan (130 Mio.), Mexiko (120 Mio.) oder Brasilien (200 Mio.) wäre schlüssig.
Gesellschaftlich ist die Strahlkraft Russlands in der Welt nicht messbar. Wirtschaftlich ist der Einfluss von Russland auf die Welt nur auf einem Gebiet nicht marginal: Rohstoffe. Neben sehr vielen anderen reichen Vorkommen ist Öl und Gas in vielen Gebieten Russland reichlich und relativ gut förderbar verfügbar.
Die Öl- und Gasvorkommen befinden sich in der Umgebung des Urals sowie am Kaspischen Meer und sind somit relativ nah am russischen Siedlungszentrum und Europa. Ein Transport dieser Mengen an andere Abnehmer wie zum Beispiel China ist bisher nur geplant aber nicht realisiert.
Die Wirtschaftsreformen seit 2000 (u.a. Absenkung der Einkommens- und Gewinnsteuern und Erhöhung der Exportsteuer auf Öl und Gas) haben aus Russland einen Rentierstaat gemacht, in dem die Staatseinnahmen sehr stark vom Öl- und Gaspreis abhängen und die politische Führung Klientilismus (siehe Sotchi) betreibt und es damit zu Fehlallokationen der volkswirtschaftlichen Gewinne kommt.
Ergebnis: Wir haben die militärische Stärke mit dem Nachteil der Isolation und die Rohstoffe mit dem Nachteil des „süßen Gifts“. Die Strahlkraft der „russischen Idee“ (wenn es eine gibt) ist viel geringer als die Amerikanische und die Europäische.
Russland ist eine mittlere Macht.
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